Julian Nida-Rümelin – Zur Aktualität der humanistischen Bildungsideale

Aus: Latein und Griechisch in Baden-Württemberg,1/2011

In den folgenden Bemerkungen möchte ich weniger über das Gymnasium sprechen, sondern eine, gelegentlich auch philosophisch gefärbte, systematische Perspektive auf die humanistischen Bildungsideale werfen.1

Inhalte:

Die erste Frage, die sich stellt, ist: Was ist eigentlich der Kern humanistischen Denkens? Als Terminus kommt ‚Humanismus‘ erst mit der italienischen Renaissance auf (diese Phase wird auch als Frühhumanismus bezeichnet) und hat dann vor allem im Deutschland des 19. Jahrhunderts (in der Phase des so genannten Neuhumanismus) erneut Konjunktur. Aber in welcher Beziehung steht dieser Humanismus zu antikem Denken? Gibt es einen roten Faden, der sich durchzieht? Was ist der Kern, um den herum sich in den verschiedenen Phasen der Geistesgeschichte die unterschiedlichen humanistischen Bildungsprogramme gruppieren? Sind beispielsweise die Karolingischen Bildungsreformen bereits als Humanismus lange vor der Renaissance anzusehen? Ich möchte eine Antwort auf diese Frage versuchen und den Kern humanistischen Denkens skizzieren. Dieser besteht meiner Ansicht nach aus drei Teilen: